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Der digitale Wandel ist eine irdische Erscheinung!

Während die im Kanzleramt angesiedelte Staatsministerin für Digitalisierung davon träumt, sich mit einem Flugtaxi durch die Gegend bewegen zu können und es als eine ihrer Hauptaufgaben ansieht, Schulkinder zur Programmierung zu befähigen, stehen die Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen vor ganz geerdeten Fragen. Sie fragen sich, was wird aus mir? Wie gestaltet sich mein Arbeitsplatz der Zukunft? Werde ich auch in einer digitalen Welt noch einen Arbeitsplatz haben? In einem zweiten Schritt werden Sie sich fragen, sollte ich meinen Arbeitsplatz verlieren, woher kommen die Mittel die mir ein menschenwürdiges Leben sichern sollen? Wir kann ich mich selbst in eine Position bringen, von der ich wieder dauerhaft eine Lebensgrundlage verdienen kann? Wie und wo kann oder muss ich mich engagieren, um auch zukünftig noch Teil einer sozialen und menschlichen Gemeinschaft zu sein?

Keine Frage, es gibt bereits eine Vielzahl von Initiativen und Institutionen, die sich auch dieser Fragen annehmen. Sie sind nur in der Öffentlichkeit nicht so präsent, wie die neue Staatsministerin und die neue Bundesregierung. Welcher Arbeitnehmer und welche Arbeitnehmerin kennt schon die Initiative Neue Qualität der Arbeit? Wer kennt die Initiatorinnen und Initiatoren bzw. die Unterstützerinnen und Unterstützer der Charta der Digitalen Grundrechte der Europäischen Union?

Dieser Gesellschaft mangelt es derzeit nicht an Initiativen, es mangelt ihr an den entsprechenden Bindegliedern. Der digitale Wandel läuft Gefahr, im akademischen Elfenbeinturm stecken zu bleiben. Es ist höchste Zeit, dass sich die von der Arbeit 4.0 wirklich Betroffenen endlich zu Wort melden können. Nun wäre ein radikal basisdemokratischer Ansatz im Zeitalter der Digitalisierung und der damit zunehmenden Kommunikationsmöglichkeiten und Kommunikationsgeschwindigkeit „bürokratisch“ und damit kontraproduktiv. Eine sich exponentiell schnell entwickelnde Technologie darf durch eine wirklich in die Tiefe gehende Beteiligung aller Menschen nicht aufgehalten werden. Auch ihre positiven Auswirkungen können dadurch nur gebremst oder gar verhindert werden.

Deshalb bedarf es gerade jetzt und gerade hier einer demokratischen Ordnung und einer Systematisierung der demokratischen Teilhabe. Auf die rasend schnelle technologische Entwicklung muss auch rasend schnell menschlich reagiert werden können. Ein ganz wesentliches demokratisch legitimiertes Bindeglied bei der Gestaltung der Arbeit der Zukunft steht grundsätzlich mit dem Betriebsrat bereit!

Bis zum Mai 2018 beginnen für Betriebsräte nicht einfach nur überall neue Amtszeiten im Rechtssinne. Spätestens mit Bekanntgabe des Wahlergebnisses 2018 beginnt für alle Organe der betrieblichen Mitbestimmung eine neue Ära! Den neuen und gigantischen Herausforderungen des digitalen Wandels der Arbeitswelt können Betriebs- und Personalräte nicht mehr allein im Rahmen der konventionellen Tatbestände und nicht mehr in der gewohnten Arbeitsweise begegnen. Aufgabenstellung und Herangehensweise sind nicht mehr reaktiv, sie werden prospektiv und konzeptionell. Es müssen heute die Grundsteine gelegt werden, damit auch morgen noch menschenwürdiges Arbeiten möglich ist. Es muss deutlich gemacht werden, dass Maschinen zwar Routinen ersetzen können, dass die menschliche Arbeit aber eben gerade nicht nur aus Routinen besteht.

Im Rahmen vorgegebener Tatbestände müssen Betriebs- und Personalräte sofort den Schwerpunkt ihrer Bewertungen verschieben. Das gilt etwa für §§ 93, 95, 99 BetrVG, für § 96 BetrVG, natürlich auch für § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG, aber sogar auch für § 43 BetrVG. Sie müssen sich zudem anders organisieren und neue Wege beschreiten. Die Einführung agiler Organisationen kann zwar eine Betriebsänderung darstellen. Ohne sich daraus ergebende wirtschaftliche Nachteile, die über einen Sozialplan ausschließlich gemildert oder ausgeglichen werden können, sind die konventionellen Handlungsmöglichkeiten aber nicht ausreichend. Betriebs- und Personalräte müssen gleichzeitig wahrnehmen, dass sich die Wirtschafts- und Sozialpolitik im europäischen Kontext verändert hat und verändert. Sie müssen die sich daraus ergebenden Möglichkeiten aktiv nutzen, um den menschlichen Kern der Arbeit erhalten zu können, ohne die notwendige technische Innovation zu unterbinden.

Eine derart weitreichende notwendige Veränderung im Denken und Handeln können die ehrenamtlich tätigen Mitglieder der Belegschaftsvertretungen nicht ohne für sie maßgeschneiderte Schulungs- und Bildungsveranstaltungen vollziehen. Schon die Grundlagenschulung zum BetrVG muss inhaltlich auf die erweiterte Form betriebsverfassungsrechtlicher Tätigkeit ausgerichtet sein. Erst recht müssen Fachseminare als erforderlich im Sinne von § 37 Abs. 6 BetrVG anerkannt werden, mit denen die Basis für eine konzeptionelle Tätigkeit der Betriebs- und Personalräte gelegt wird. Idealerweise müssen Schulungs- und Bildungsveranstaltungen zu diesen Themen nach § 37 Abs. 7 BetrVG aber auch ohne konkrete Erforderlichkeit im jeweiligen Betrieb als geeignet anerkannt werden.

Sind die Belegschaftsvertretungen  in die Lage versetzt die Herausforderungen des digitalen Wandels zu erkennen, müssen sie auch retrospektiv ihre bisherige Tätigkeit neu bewerten. Das gilt etwa im Hinblick auf Artikel 22 DSGVO. Da auch Betriebsvereinbarungen als Rechtsvorschiften im Sinne der DSGVO gelten, kann über sie ungewollt ein Profiling möglich gemacht worden sein. Hier gilt es insbesondere alle ausgeübten Mitbestimmungstatbestände nach § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG zu betrachten. Allein diese Aufgabe setzt umfangreiche Kenntnisse über das aktuelle Datenschutzrecht und über die Funktion der „involvierten Logik“ (verwendeter Algorithmen) voraus, die es zu erwerben gilt.

Betriebs- und Personalräte müssen ihren eigenen „Workflow“ so anpassen, dass sie den neuen Herausforderungen genügen können. Sicher gehört dazu auch die – derzeit rechtlich nicht uneingeschränkt zulässige – Verwendung digitaler Techniken. Es gehört aber auch dazu, zumindest in der eigenen Organisation, nach Möglichkeit jedoch auch im Betrieb oder Unternehmen, den sozialen Gesichtspunkten einen Stellenwert einzuräumen, der auch den wirtschaftlichen Angelegenheiten beigelegt wird. Es wird zukünftig eben nicht mehr ausreichen, in einer wirtschaftlichen Angelegenheit eine eigenständige Auffassung zu der Sichtweise des Arbeitgebers zu entwickeln und zu vertreten. Es wird viel mehr bedeutend sein, welche sozialen Auswirkungen die wirtschaftliche Angelegenheit hat, haben kann oder haben wird und diese Gesichtspunkte separat neben die wirtschaftlichen Aspekte stellen zu können.

Auch bezüglich der Außenwirkung von Belegschaftsvertretungen muss der Workflow angepasst werden. Das Interesse Dritter an nichtfinanziellen Informationen zu Arbeitnehmerbelangen ist bereits gestiegen und wird durch europapolitische Maßnahmen weiter steigen. Die Informationsmöglichkeiten über Arbeitnehmerbelange wachsen, der Informationsbedarf der Öffentlichkeit daran steigt. Die damit verbundenen Handlungsmöglichkeiten müssen auch von Belegschaftsvertretungen genutzt werden.



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