Sowohl die Protagonisten des Gesetzgebungsverfahrens als auch die zukünftig Normunterworfenen scheinen es mit der Umsetzung und Anwendung der CSR-Richtlinie nicht eilig zu haben. Das verwundert insofern, als auch bei erst verspäteter Umsetzung in nationales Recht die Richtlinie für alle Geschäftsjahre ab 2017 anwendbar sein wird.
Wie kommt es zu dieser Lethargie? Der Gesetzgeber, der sich schon bei der Entscheidung zur Richtlinie durch Zurückhaltung auszeichnete, hat durch Verbindung der offensichtlich ungewollten CSR-Richtlinie mit der Novellierung der Insolvenzordnung offenbar ein Mittel gefunden, um den Gesetzgebungsprozess zu verzögern. Das wird aber nichts an der Anwendbarkeit ab 2017 ändern.
Aufschlussreicher sind die Motive der zukünftigen Anwender im HR-Bereich. Hier scheinen die Gründe für die Passivität in drei Kategorien zusammengefasst werden zu können. Neben den ganz individuellen und menschlichen Gründen, sind die Undurchsichtigkeit der europäischen Rechtssetzung und einige inhaltliche Kritikpunkte offenbar Anlass für das Zögern.
Aus menschlicher Sicht ist es verständlich, wenn sich der HR-Verantwortliche zunächst den drängenden aktuellen Fragestellungen widmet, und die vielfältigen Aufgabenstellungen des Tagesgeschäfts erfüllt. Da kommen Aufgaben, deren Erledigung zwar grundsätzlich heute erforderlich ist, deren Auswirkungen aber nicht vor dem II. Quartal 2018 überhaupt sichtbar werden, notwendigerweise zu kurz. Zudem weiß der Anwender möglicherweise selbst nicht, ob er zu diesem späten Zeitpunkt überhaupt noch die Verantwortung für die CSR-Aspekte trägt. Allerdings wird er sich fragen lassen müssen, ob derart individuelle Gründe gegenüber dem Interesse des Unternehmens überwiegen dürfen.
Verständlich aber unberechtigt wäre ein Zögern, weil das HR-Management die Auffassung verträte von der Richtlinie bzw. von deren Umsetzung nicht betroffen zu sein. Eine solche Auffassung dürfte auf die Undurchsichtigkeit der europäischen Rechtssetzungsakte zurückzuführen sein. Ist es noch leicht erkennbar, dass mit den Arbeitnehmerbelangen inhaltlich auch Aspekte des HR-Managements angesprochen werden, so kann man die interne Zuständigkeit für diese nichtfinanziellen Informationen fälschlich leicht bei der Bilanzbuchhaltung vermuten. Das trifft aber nur für den Teil europäischen Handelns zu. Es gilt nur für den Teil des europäischen Handelns, der sich unmittelbar in dem Rechtssetzungsakt, der Richtlinie 2014/95/EU niederschlägt. Nur die Publizitätspflicht ist letztlich Gegenstand einer europäischen Rechtssetzung.
Weniger deutlich sichtbar, da nur aus den Erwägungsgründen ersichtlich, ist mit der Richtlinie aber auch eine andere legitime Form europäischen Handelns verbunden. Gemeint ist das Verfahren der offenen Methode der Koordinierung (OMK). Dieses Instrument setzt die Union unter anderem bei der Um- und Durchsetzung ihrer Sozialpolitik ein. Gerade wegen ihrer Offenheit ist diese Methode als koordinierendes Instrument und als gewollte Form politischen Handelns leicht zu übersehen.
Da die Union auf diese Methode bei der Umsetzung der Sozialpolitik aus primärrechtlichen Gründen formal beschränkt ist, belegt dies aber gerade nicht eine etwaig fehlende Ernsthaftigkeit im Willen oder eine etwaig fehlende Nachdrücklichkeit bei der Umsetzung der Politik. Der sozialpolitische Wille der Union ist nur schwerer zu erkennen als die normierten handelsrechtlichen Vorgaben.
Aus diversen Mitteilungen der Kommission ist eindeutig erkennbar, was die Kommission mit der CSR-Richtlinie grundlegend beabsichtigt. Ausgehend von dem in Lissabon vom Rat beschlossenen Ziel, die europäische Union zum stärksten und sozial gerechtesten Wirtschafstraum zu machen, will die Kommission mit der CSR-Richtlinie gerade die soziale Gerechtigkeit deutlich befördern. Dazu will sie insbesondere drei Mechanismen nutzen.
Da ist zum einen die öffentliche Auftragsvergabe und – das darf man durchaus unterstellen – auch die europäische Förderpolitik. Da ist zum anderen der Finanzmarkt, dessen immenses dort verwaltetes Vermögen zur mittelbaren Steuerung der Wirtschaft natürlich in besonderer Weise geeignet ist. Und schließlich ist da die Zivilgesellschaft, zu der sowohl der Absatz- und Arbeitsmarkt als auch die zahlreichen Interessengruppen (NGO) zu rechnen sind. Nicht zuletzt die Veränderungen und Erweiterungen der Kommunikationsformen und der medialen Berichterstattung lassen die Bedeutung der Zivilgesellschaft als Marktteilnehmer deutlich steigen.
Eine weitere Beförderung der Umsetzung hat die Kommission in der Richtlinie sogar angesprochen –die Beteiligung der Arbeitnehmer. Schon nach der in Deutschland geltenden Rechtslage wird man beispielweise den Belegschaftsvertretungen nicht das Recht zur Mitwirkung an den geforderten Konzepten absprechen können. Die Arbeitnehmerbelange gehören wegen § 75 BetrVG zu den allgemeinen Aufgaben, die der Arbeitgeber und der Betriebsrat zu schützen und zu fördern haben. Es besteht damit schon de lege lata ein Recht zur „konzeptionellen Mitbestimmung“, die, auch und gerade im Hinblick auf die sozialen Medien, durchaus sehr wirksam ausgeübt werden kann. Gewerkschaften rufen schon seit längerem vor dem Hintergrund einer sich drastisch ändernden Arbeitswelt und der bisher rechtlich unverbindlichen CSR-Postulaten nach einer Reform der Arbeitnehmerbeteiligung.
Man muss also nur erkennen, dass die vorliegende, von der Kommission im Zusammenhang mit der CSR-Richtlinie als Koregulierung bezeichnete Ausprägung der offenen Methode der Koordinierung lediglich eine andere legitime Form strengen europäischen Handelns ist, um die tatsächliche Bedeutung der CSR-Richtlinie und ihrer Umsetzung in nationales Recht auch für das HR-Management richtig zu verorten.
Bleiben noch die inhaltlichen Kritikpunkte als möglicherweise tragfähiger Grund für ein weiteres Zuwarten bei der Umsetzung der CSR-Aspekte in die tägliche Personalarbeit. Zu Erstaunen muss dabei führen, dass ausgerechnet jene, die bisher als Gralshüter des Shareholdervalue gegolten haben, die Akteure der Kapitalverwaltungswirtschaft, nach den Vorstellungen der Kommission zu den Speerspitzen bei der Durchsetzung des Stakeholdervalue werden sollen.
Das mag zwar verwundern, ist aber – wenn man den Verlautbarungen des DNK glauben darf – durchaus Realität. Gerade diese Branchen scheinen sich intensiv auf die Umsetzung der CSR-Richtlinie vorzubereiten. Wenn auch nicht gänzlich widerspruchsfrei, nehmen sich offenbar Versicherungen, Banken und andere Kapitalsammelstellen dieser mit Nachdruck Aufgabe an. Diese Tatsache wird man anerkennen müssen.
Kritisch zu werten ist auch der Umstand, dass Personalarbeit zu ganz wesentlichen Teilen gerade individuelle Lösungen erfordert und sich einer detaillierten Planung durch ein vollständiges und abgeschlossenes Konzept eher verschließen. Dieses zutreffende Argument kann aber nicht als Begründung der Verweigerung notwendiger Schritte ins Feld geführt werden. Ein Konzept zu den Arbeitnehmerbelangen muss in jedem Falle jetzt erstellt werden. Es ist dabei nur darauf zu achten, dass es noch ausreichend Raum für Individualität lässt.
Schließlich kann die Zurückhaltung bei der Umsetzung auch mit dem dadurch verursachten „administrativen Aufwand“ zusammenhängen. Die Annahme, ein Konzept für die Arbeitnehmerbelange verursache sowohl für die Erstellung als auch bei der Befolgung seiner Inhalte und – gegebenenfalls für die Veröffentlichung – Kosten und Aufwand, ist sicher richtig. Allerdings ist diese Feststellung kein allgemeintauglicher Grund für ein Zuwarten. Es hängt nämlich von den konkreten Verhältnissen der einzelnen Gesellschaft ab, ob diese Kosten und dieser Aufwand zusätzlich entsteht, oder ob er nicht in gleichem oder gar höherem Umfang allein dadurch entsteht, dass entsprechende Fragen großer Abnehmer oder von Kreditinstituten jeweils einzeln beantwortet werden müssen. Denn die normunterworfenen Unternehmen sind schließlich auch verpflichtet, einen Blick in die Lieferkette zu werfen und werden dies durch „Befragungen der Lieferanten und/oder Kunden auch tun. Zudem wird man es bei einer wirtschaftlichen Betrachtung berücksichtigen müssen, dass sich möglicherweise Konditionen verschlechtern oder Aufträge ausbleiben können. Letzteres unmittelbar von öffentlichen Auftraggebern und mittelbar aufgrund eines „Imageschadens“ vom Markt.
Taugt damit ein wirtschaftliches Argument nicht grundsätzlich zur Verweigerung der Umsetzung, sondern ist es stets vom Einzelfall abhängig, ob ein Konzept zu den Arbeitnehmerbelangen eine wirtschaftliche Belastung darstellt, muss damit gerechnet werden, dass es durchaus unterschiedliche Antworten und damit unterschiedliches Verhalten geben wird. Den Äußerungen des DNK ist auch tatsächlich zu entnehmen, dass gerade KMU sich in steigendem Maße für die Nachhaltigkeit einsetzen wollen. Es entsteht damit ein zunehmender Wettbewerbsdruck. Auch das sollte bedacht werden.
Bei aller Skepsis gegenüber den neuen Aufgaben für das HR-Management, es bestehen kein grundlegender Anlass und keine allgemeingültige Rechtfertigung für ein weiteres Zuwarten. Im Gegenteil, wer jetzt handelt, kann den weiteren Weg dieses Teils der europäischen Sozialpolitik – auch strategisch – noch mitgestalten. Die bereits angekündigte Revision der CSR-Richtlinie durch die Kommission in 2018 wird sicher kommen. Je wahrnehmbarer die Reaktion der Wirtschaft auf die gewählte Form der Umsetzung europäischer Sozialpolitik ausfällt, desto geringer die zu erwartenden Veränderungen durch eine sonst vermutlich verschärfte „Koregulierung“! Einzig eine tatsächliche Umkehr Europas auf dem Weg der Globalisierung und ein erstarkter nationaler Protektionismus, die angesichts aktueller Wahlen und Handlungen tatsächlich nicht mehr vollständig ausgeschlossen werden können, vermögen die Kommission auf ihrem Weg zur sozial gerechtesten Wirtschaftsordnung aufzuhalten.
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